Einen Lkw zu manövrieren, erfordert volle Aufmerksamkeit und äußerste Konzentration des Fahrers. Nicht nur fällt das Navigieren der großen Gefährte durch die schmalen Straßen eines Ortes besonders schwer. Auch bergen die vielen toten Winkel gerade im Stop-and-Go Verkehr ein besonderes Risiko, Zweiradfahrer oder Fußgänger zu übersehen. Beim Abbiegen kommt es immer wieder zu folgenschweren Unfällen. Laut dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) kamen im Jahr 2017 durch rechtsabbiegende Lkw 38 Radfahrer ums Leben – Tendenz steigend. Abhilfe sollen neue elektronische Abbiegeassistenten schaffen, die den Lkw-Fahrer zuverlässig warnen, wenn sich ein Mensch oder ein Objekt im toten Winkel vor oder neben dem Lkw befindet.

 

Raum für Verbesserungen.

 

Die Zuverlässigkeit von Abbiegehilfen ließ bisher zu wünschen übrig. Bereits 2019 testete der ADAC unterschiedliche Systeme, die entweder als Erstausrüstung oder in Form einer Nachrüstung zum Einsatz kommen. Die Ergebnisse waren teilweise ernüchternd. Zwar lösten alle Warnungen aus, aber keines der Abbiegeassistenzsysteme konnte einen Radfahrer erkennen, wenn sich zwischen der Radfahrspur und der Lkw-Fahrspur Hindernisse befanden, wie beispielsweise parkende Fahrzeuge oder Bepflanzungen. So attestiert auch Robert Kroiß vom Deutschen Berufskraftfahrer Verband (DBV) den Assistenzsystemen Verbesserungspotenzial. Sie müssten unter anderem in der Lage sein, selbst bei regnerischem Wetter und angelaufenen Spiegeln Personen oder Radfahrer eindeutig zu erkennen und den Fahrer zuverlässig zu warnen. Häufig würden Fahrer die Systeme ob der hohen Zahl der Fehlalarme einfach ausschalten, so Kroiß.

 

Continental mit einfacher Lösung zur Nachrüstung.

 

Im September bringt Continental mit dem radarbasierten RightViu® nun eine einfache, aber effektive Version eines Rechtsabbiegeassistenten für die Nachrüstung auf den Markt. RightViu® wird in einer Höhe ab 2 Metern am Fahrzeug oder Spiegelarm angebracht. Hier ermittelt das System über Radarsensorik, ob sich ein Verkehrsteilnehmer im Gefahrenbereich des Fahrzeuges befindet. Eine spezielle VRU-Software (Vulnerable Road User) interpretiert die Daten fortlaufend und warnt den Fahrer mithilfe akustischer und optischer Warnsignale. So erweitert RightViu® die Sicht des Fahrers bis zu 4 m nach rechts und 14 m nach hinten. „Wir sind überzeugt, dass unsere Lösung am besten geeignet ist, um Radfahrer im toten Winkel sicher zu erkennen, sie von anderen Objekten zu unterscheiden und so folgenschwere Unfälle zu vermeiden. Denn anders als bei kamera- oder ultraschallbasierten Systemen erkennt die für diesen Einsatzzweck optimierte Radarsensorik, ob es sich tatsächlich um einen Radfahrer oder Fußgänger handelt“, sagt Georg Kliewer, Leiter des Bereichs Spezialfahrzeuge Aftermarket bei Continental.

 

Fördergelder möglich.

 

Seit 2018 setzt das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit der „Aktion Abbiegeassistent“ Anreize für eine freiwillige Selbstverpflichtung zur Verwendung von Abbiegeassistenten. Seit Mai 2020 hat das BMVI auch das Förderprogramm „Abbiegeassistenzsysteme“ gestartet, welches die Aus- und Nachrüstung mit Abbiegeassistenten finanziell unterstützt. Mit der Erlangung der allgemeinen Betriebserlaubnis (ABE) ist RightViu® grundsätzlich förderungsfähig. Unternehmen des mautpflichtigen Güterkraftverkehrs können ihre Abbiegeassistenten über die Richtlinie „De-minimis“ in der Maßnahmenkategorie 1.3 fördern lassen. Alle anderen Antragsteller können über das „Förderprogramm Abbiegeassistenzsysteme“ eine konkrete Förderung beziehen.

 

Einfache Nachrüstung.

 

Vom leichten Nutzfahrzeug bis hin zum Fahrzeug mit sehr hoher Tonnage können mit dem RightViu® sowohl kurze als auch lange Fahrzeugmodelle nachgerüstet werden. Installation, Kalibrierung und Inbetriebnahme des Assistenten werden von einer Fachwerkstatt durchgeführt. „Das Paket zeichnet sich darüber hinaus dadurch aus, dass es leicht zu verbauen ist“, verspricht Kliewer.

 

 

Seit Juli Pflicht für Lang-Lkw.

 

Dem offenkundigen Handlungsbedarf zum Trotze schreibt ein einheitlicher EU-Beschluss die Ausstattung mit einem Abbiegeassistenten für alle neuen Fahrzeugtypen erst ab 2022 vor. Ab dem Jahr 2024 soll die Vorschrift dann auch für neu zugelassene Fahrzeuge gelten. Dem BMVI kommt die EU-Regelung aufgrund der Vielzahl vermeidbarer Unfälle indes zu spät. Deshalb müssen in Deutschland seit dem 1. Juli 2020 zumindest sogenannte Lang-Lkw bei Neuzulassung mit einem Abbiegeassistenten sowie blinkenden Seitenmarkierungsleuchten ausgestattet sein. Unter einem „Lang-LKW“ wird eine Lkw-Kombinationen mit einer Länge von bis zu 25,25 Meter und einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 44 Tonnen verstanden.

 

Appell an alle Verkehrsteilnehmer.

 

Der rechtliche Rahmen ist geschaffen und die Technik steht bereit. Bis wirklich alle Lkw mit wirksamen Abbiegeassistenten ausgestattet sind, wird allerdings noch etwas Zeit vergehen. Umso wichtiger ist es, dass bis dahin alle Verkehrsteilnehmer ihren individuellen Beitrag zur Unfallvermeidung leisten. “Auch das Verhalten vieler Radfahrer, die häufig sehr schnell unterwegs sind oder vor Ampeln zu dicht an den Lkw stehen, erhöht das Unfallrisiko”, mahnt Kroiß gegenseitige Rücksichtnahme und Vorsicht an.